Selbstfürsorge – Hintergründe und Übungen zu Stressregulation und -abbau

Diese Publikation wurde im Rahmen des Projekts „Gemeinsam handeln – Geflüchtete Kinder und Jugendliche stärken“ herausgeben von Save the Children Deutschland e.V. 

Text: Lena Grabowski

Lektorat: Corinna Ditscheid  

Mehr Informationen zum Projekt: 

https://www.savethechildren.de//projekt/gemeinsam-handeln

© 2023 Lena Grabowski / Save the Children e.V.

 

Selbstfürsorge für Menschen in sozialen Berufen

Fachkräfte in unterstützenden Berufen und Personen, die sich ehrenamtlich in sozialen und humanitären Arbeitsfeldern engagieren, sind mit herausfordernden Themen konfrontiert. Oft erleben sie die existenziellen Nöte ihrer Mitmenschen hautnah. Kommen weitere belastende Faktoren dazu, etwa Personalmangel, Überstunden oder Zeitdruck, kann sich ein erhöhtes Stresserleben entwickeln. 

Selbstfürsorge sollte als eine gesamtgesellschaftliche, systemische Verantwortung gesehen und dementsprechend getragen werden. Doch auch als Individuum haben wir die Möglichkeit, Verantwortung für unser seelisches und körperliches Wohlbefinden zu übernehmen. In dieser Publikation soll ein Basiswissen darüber vermittelt werden, welche Faktoren zu Stresserleben in Körper und Psyche führen und welche physiologischen und psychologischen Dynamiken dabei entstehen können. Des Weiteren sollen einige Methoden und Übungen vermittelt werden, mit denen wir individuell auf Stresserleben eingehen bzw. präventiv Stress vorbeugen können. Die Psychologin und Traumatologin Yael Danieli formuliert:

„Freundlich zu sich selbst zu sein, und frei dafür zu sein, Spaß und Freude zu erleben, sind keine unangebrachten Frivolitäten in diesem Arbeitsgebiet. Sondern eine Notwendigkeit, ohne die man seine beruflichen Verpflichtungen nicht erfüllen kann.“ (vgl. Griese 2019)

Einblick in die Geschichte der Stressforschung 

Es gibt viele theoretische Modelle zu Stressentstehung und -verarbeitung, Stresserleben und -management. Viele dieser Thesen vertreten die Haltung, dass wir Menschen nur dann gut mit Stress umgehen können, wenn die Anforderungen an uns und die uns verfügbaren Ressourcen – innere wie äußere – im Gleichgewicht sind (vgl. Kaluza 2015, Tiemann, Mohokum, 2020).

Dieses Prinzip des inneren und äußeren Gleichgewichts definierte als erster der französische Physiologe Claude Bernard als Homöostase in dem von ihm entwickelten reizzentrierten Modell, das im Folgenden noch genauer erläutert wird. Wichtig ist jedoch, dass die Homöostase auch in Gefahr geraten oder ganz verlorengehen kann.

Der amerikanische Physiologe Walter Cannon greift das Prinzip der Homöostase auf. In seinem reizbezogenen Stressmodell beschreibt er die physiologische Reaktion auf eine Notsituation als stammhingesteuerte Kampf- oder Fluchtreaktion. Diese ist auch als fight or flight bekannt. Cannon erkannte als erster die Bedeutung der Hypothalamus-Nebennierenmark-Achse und den Einfluss von Adrenalin und Noradrenalin bei Stressreaktionen und hielt diese in seinen Forschungsthesen fest. Adrenalin und Noradrenalin sind Neurotransmitter, biochemische Botenstoffe des Gehirns, die Informationen von einer Nervenzelle zur anderen weitergeben. (vgl. Reich o.J.).

Berühmt wurde der Stressbegriff jedoch erst durch den Mediziner Hans Selye. Er benannte das Prinzip des allgemeinen Adaptationssyndroms, kurz AAS, das er als unspezifische Antwort des Körpers auf Anforderungen oder Störungen des körperlichen Gleichgewichts bezeichnete. Selye unterteilt diesen Prozess der Adaptation in drei Phasen (vgl. Selye 1978):

  1. Alarmreaktion:  Ausschüttung biochemischer Stoffe.
  2. Widerstands- oder Anpassungsphase:  Gewöhnung an den Stress, dabei sinkende Abwehrkräfte. Das System reagiert erfolgreich oder unangemessen.
  3. Erschöpfungsphase: Unkontrollierte Stresswirkung, die im schlimmsten Fall zu Krankheit oder Tod führen kann.

Selye unterscheidet weiterhin in seinen Forschungsarbeiten zwischen Eustress und Distress (ebd.).

Eustress ist positiver Stress. Die Betroffenen nehmen ihre Situation als Herausforderung wahr, die sie bewältigen können und sogar spannend finden. Dadurch können ihre Motivation und ihr Engagement steigen. 

Distress hingegen ist Stress, der vom Organismus als unangenehm, bedrohlich und überfordernd empfunden wird. Wenn Stressoren, also Stressreize, an Häufigkeit, Intensität und Dauer zunehmen und uns dabei wenig Spielraum bleibt, mit ihnen umzugehen, entsteht auf Dauer Distress. Dieser kann uns überfordern und folglich unsere Handlungen beeinflussen (vgl. ebd.).

Stress – eine biologisch sinnvolle Reaktion

Stresserleben stellt – unter normalen Umständen – eine überlebensnotwendige Reaktion auf bedrohliche Gegebenheiten dar. Diese Stressreize werden als Stressoren bezeichnet. Stresserleben ist demnach ein grundlegendes Empfinden von uns Menschen. Zudem tritt es Forschungsergebnissen zufolge nicht nur beim Menschen auf, sondern auch bei vielen Tierarten. Auch die einfachsten Organismen wie Seeschnecken oder wirbellose Tiere erleben Stress. 

Letztlich ermöglicht Stress Überleben und ist damit eine wichtige und sinnvolle biologische Reaktion. Diese ist als Signal für Bedrohungen im Verlauf der Evolutionsgeschichte entstanden. 

In früheren Zeiten, als unsere Vorfahren noch weitestgehend in der freien Wildnis lebten, war es lebensnotwendig, dass bei Gefahren eine automatische Reaktion eintrat und unmittelbares Verhalten folgte – etwa Flucht, Angriff, Starre oder Unterwerfung. Für die Entwicklung und das Überleben des Menschen (und anderer Lebewesen) war die Entstehung einer Angstreaktion sehr wichtig. 

Heute werden Reaktionen wie Flucht, Kampf, Starre und Unterwerfung in der Psychologie, Neuropsychologie oder Psychotraumatologie angesichts der tatsächlichen Gefahren als ungesunde und unreife Reaktionsmechanismen betrachtet (vgl. Walker 2013). Sie sind biologische Reaktionen und Notfallmaßnahmen, die uns überleben lassen möchten und sich demnach immer dann einschalten, wenn wir uns von einer Situation bedroht oder überwältigt fühlen. Wenn wir keine vertrauten Bewältigungsstrategien zur Verfügung haben, um einer Situation oder Belastung zu begegnen, steckt unser Gehirn sozusagen „in der Klemme“ und ruft diese Reaktionen hervor. Wenn zu viele Stressoren zusammenkommen, kann sich dieser Zustand über einen längeren Zeitraum steigern. 

Symptome von Stress

Viele Menschen erleben Stress als körperliche Reaktion. Akute körperliche Stresssymptome sind zum Beispiel: 

  • Beschleunigter Herzschlag 
  • Erhöhter Blutdruck 
  • Zittern
  • Geweitete Pupillen 
  • Erweiterung der Atemwege 
  • Kurzatmigkeit
  • Schweißausbrüche
  • Muskelanspannung

Folgende Symptome und Störungen sind häufig wiederkehrend oder chronische Symptome und treten bei starkem und/oder langanhaltendem Stress auf:

  • Spannungskopfschmerzen
  • Schulter- und Nackenverspannungen
  • Rückenbeschwerden
  • Schlafstörungen
  • Magen- und Darmbeschwerden
  • Erschöpfung und Müdigkeit 

Des Weiteren gibt es emotionale und mentale Symptome, die insbesondere bei chronischem Stress entstehen können:

  • Innere Anspannung und Unruhe
  • Nervosität 
  • Konzentrationsschwierigkeiten
  • Reizbarkeit
  • Unzufriedenheit
  • Wut
  • Angst
  • Antriebslosigkeit 
  • Apathie 

Ein gewisses Maß an Stress ist in unserer heutigen, postmodernen Zeit notwendig. Stress warnt uns und hilft uns, Gefahren zu erkennen. Auch regt Stress den Organismus an, immer wieder neue Anpassungsstrategien zu üben.

Wenn Stress jedoch dazu führt, dass der Organismus sich in einem andauernden Alarmzustand befindet, gerät der Mensch aus dem Gleichgewicht und gesundheitliche Folgen können entstehen. Ist das Stressniveau zudem dauerhaft hoch, kann der Körper insgesamt geschwächt werden. Die Folge können körperliche und psychische Beeinträchtigungen sein. Rein biologisch gesehen sind unsere Körper nicht darauf vorbereitet, dauerhaft hohen Stress auszugleichen und zu bewältigen.

Damit sind wir wieder bei der bereits genannten Homöostase (vgl. Reich o.J.) Sie ist ein lebensnotwendiges inneres Prinzip, das auf Ausgleich abzielt. Wenn wir dauerhaft im Ungleichgewicht sind und dieses ausgleichen müssen, erschöpfen wir unseren Organismus und werden letztlich krank.

 

Der körperliche Ablauf einer Stressreaktion, vereinfacht dargestellt  

Wie wir gesehen haben, versetzt es unseren Organismus in erhöhte Alarm- und Handlungsbereitschaft, wenn wir eine Gefahr wahrnehmen. Dabei ist es egal, ob die Gefahr aus dem Äußeren oder dem Inneren des Körpers kommt. Es ist das Zentralnervensystem, das die Gefahr als solche interpretiert. Dies wirkt sich insbesondere auf Muskulatur, Atmung und Kreislauf aus, doch auch die Informationsverarbeitung im Gehirn verändert sich. 

Erleben wir eine Bedrohung, werden Hormone wie Adrenalin, Noradrenalin und Cortisol ausgeschüttet. Hinzu kommen weitere Botenstoffe. Außerdem wird der auf Aktivität gerichtete Teil unseres vegetativen Nervensystems aktiviert, der Sympathikus. Sein Gegenspieler, der Parasympathikus, der auf Ruhe und Regeneration ausgerichtet ist, wird währenddessen gehemmt. Der aktivierte Organismus produziert verstärkt Energie, um kurzfristig leistungsfähiger zu sein. Der Blutfluss wird umverteilt und alle Funktionen, die in diesem Augenblick nicht überlebensnotwendig sind, werden gehemmt. 

Über lange Zeit waren sogenannte „Fressfeinde“ die Hauptbedrohung von Lebewesen. Daher können wir auch heute noch reflexhaft reagieren, wenn wir das Gefühl bekommen, unser Leben retten zu müssen. Höhere Hirnfunktionen wie rationales, ethisch-moralisches oder vorausschauendes Handeln sind bei dem Lebenserhaltungstrieb nicht beteiligt. Sie stehen nicht zur Verfügung, wenn wir in starkes Stresserleben verfallen. Es entsteht eine Art Tunnelblick: Wir sehen nur noch, was dem unmittelbaren Überleben dient – den Baum etwa, auf den wir uns retten, oder den Gegenstand, mit dem wir uns wehren könnten. 

Unsere Wahrnehmung richtet sich bei Stress also vor allem auf das Überleben. Ganz allgemein gilt für starke Herausforderungen: Je bedrohlicher und stressreicher wir eine Situation erleben, desto weniger können wir mit rationalen, logischen oder kreativen Lösungen rechnen. Das menschliche Gehirn hat sich im Laufe der Evolution vom Rückenmark über das Stamm- und Mittelhirn bis hin zum Großhirn entwickelt. 

Bei Stress fallen in umgekehrter Reihenfolge die höheren, differenzierten Funktionen immer mehr zugunsten der reflexhaften, schnelleren und unbewussten Reaktionen aus. Erst wenn wir spüren, dass wir überlebt haben bzw. unser Überleben nicht mehr oder nicht tatsächlich bedroht ist, kehrt Beruhigung ein und die anderen Fähigkeiten kommen allmählich zurück. 

Was können Stressreize sein?

Zu den Stressreizen zählen äußere umweltbedingte Faktoren wie zum Beispiel:

  • Lärm
  • Kälte oder Hitze
  • Visuelle Reize
  • Toxine
  • Chemikalien
  • Ozon
  • Unreine Luft
  • Nahrungs- und Wassermangel (existenzielle Unterversorgung)

Mögliche Stressreize im nahen Sozialraum können zum Beispiel sein: 

  • Ungünstige Arbeitsbedingungen, etwa Schichtarbeit, hohe Verantwortung 
  • Hohe körperliche oder seelische Anforderungen im Beruf oder in anderen Lebenssituationen
  • Leistungsdruck
  • Arbeitslosigkeit
  • Soziale Isolation
  • Armut
  • Mobbingerfahrungen 
  • Verlusterfahrungen, Trennungen
  • Tod von Angehörigen oder nahen Menschen
  • Lebensgeschichtlich belastende Erfahrungen
  • Formen von Gewalterleben
  • Formen von Diskriminierungen
  • Des-Integration 
  • Überfluss
  • Unterforderung

In der Psychologie und der Stressforschung werden auch personale bzw. innere Stressreize untersucht. Diese meinen zum Beispiel: 

  • Unbefriedigte Grundbedürfnisse, etwa nach Kontakt, Sicherheit, Verbindung oder Ruhe
  • Innere Einstellungen, Befürchtungen, ängstliche Erwartungshaltungen
  • Irrationale Ängste, etwa vor Spinnen, großen Plätzen, Menschenmengen
  • Fehlende Gestaltungsmöglichkeiten
  • Gedankenkreisen 
  • Starke, wechselnde Gefühlszustände 
  • Gefühlstaubheit 

In der Gesundheitspsychologie gilt die These, dass bereits die Vorstellung und Erwartung eines Stressreizes genügt, um eine innere Stress-Reaktionskette in Bewegung zu setzen – auch dann, wenn der Stressreiz möglicherweise gar nicht existiert. 

Feedback-Schleifen und Funktionskreise

Einer der Mitbegründer der Psychosomatischen Medizin, Karl Kuno Thure von Uexküll beschreibt in seiner Arbeit sogenannte Funktionskreise und Feedback-Scheifen:

Feedback-Schleifen, auch Rückkoppelungsmechanismen genannt, finden wir in allen Systemen – von der Zelle über den gesamten Körper bis hin zum Ökosystem. Sie helfen dabei, die Homöostase, also das Streben nach innerem Gleichgewicht in einem offenen System, aufrecht zu erhalten. Das Aufrechterhalten geschieht über eine Selbstregulierung. Das heißt, es handelt sich um einen sich selbst organisierenden Prozess, der durch die Struktur des Systems festgelegt ist – durch seine Form, seine körperlichen Voraussetzungen und durch die umliegenden Bedingungen.

Uexküll ist der Ansicht, dass die gute Funktionalität eines Systems von dessen Balance abhängt. Das heißt: Je ausgeglichener der Zustand des Systems, desto besser funktioniert es. Daraus leitet Uexküll ab, dass es für den Menschen in jeder Lebenssituation darum geht, das für sich richtige Maß zu finden. Dabei benennt er beispielsweise ein gesundes Maß zwischen Neugier und Angst, Sicherheit und Risiko, Herausforderung und Belastung, Arbeit und Freizeit oder Nähe und Distanz, um nur einige zu nennen.

Gelingt diese Balance jedoch nicht, kann der Funktionskreis gefährdet sein. Dann wird Stress erlebbar bzw. zeigen sich die Auswirkungen der vom Körper automatisch ausgelösten Reaktionen (Uexküll 1998).

Stress kann natürlich auch zu neuen Anpassungsleistungen und -strategien führen, die uns helfen, mit besonderen Lebenssituationen neu umzugehen. So gesehen kann Stress auch einen positiven Einfluss in unserem Leben haben. Es gibt viele Situationen, die unser „System“, unseren Organismus, aus der Mitte bringen, starke Emotionen hervorrufen und körperliche Anspannung verursachen. Ein gewisses Maß an Stimulation ist aber, wie bereits erwähnt, auch wichtig und wird als Eustress bezeichnet (vgl. Selye 1978).

Zu wenig positive Anregung und zu viel negative Stimulation kann jedoch bedrohlich werden. Bei kurzfristigem, zeitlich begrenztem Stress kann von Deprivation gesprochen werden, einem Mangel, Verlust oder Entzug von etwas Erwünschtem. Dies kann sich in einen Distress entwickeln. Wie bereits beschrieben, stuft unser Organismus dies als lebensbedrohlich ein. Insbesondere über einen längeren Zeitraum wirkt sich das negativ auf die Gesundheit aus (vgl. ebd.).

Coping – Theorie und Stressbewältigung 

Eine bekannte Theorie zur Erklärung von Stress ist die Coping-Theorie des amerikanischen Psychologen und Emotionsforscher Richard Lazarus. Er beschreibt, wie gedankliche Bewertungen beim Menschen Stress entstehen lassen oder fördern. 

Seinen Forschungen zufolge bewerten wir Menschen jede Situation zunächst hinsichtlich ihrer persönlichen Bedeutsamkeit für uns. Diesen Vorgang beschreibt Lazarus als „primary appraisal“. 

Bewerten wir eine Situation als für uns relevant, und nehmen wir interne oder externe Anforderungen an uns wahr, die sich aus dieser Situation ergeben, dann prüfen wir, welche Bewältigungsstrategien uns dafür zur Verfügung stehen. Diesen Vorgang beschreibt Lazarus als „secondary appraisal“. Die beiden Bewertungsprozesse bestimmen in seinem Verständnis das emotionale Erleben des Individuums während des gesamten Vorgangs, den er als „coping“ bezeichnet. Emotionales Erleben wirkt sich auf die im Endeffekt gezeigte Reaktion und Handlung aus. 

Richard Lazarus unterscheidet mögliche Strategien zur Stressbewältigung in problem-fokussiertes Coping und emotions-fokussiertes Coping. Erstgenanntes stellt eine Verhaltensweise dar, die darauf abzielt, die Situation zu verändern, mit der das Individuum konfrontiert ist. Emotions-fokussiertes Coping hingegen bewertet den aktuellen Stressreiz mit dem Ziel, den negativen Effekt einer inneren Abwehr zu vermindern. Der Stressor selbst wird dabei nicht direkt beeinflusst, und das ist auch nicht das primäre Ziel der emotions-fokussierten Coping-Strategie. Es geht vielmehr darum, dass sich der Gefühlszustand hinsichtlich des Stressreizes verändert bzw. verbessert.

Wie effektiv problem- bzw. emotions-fokussierte Coping-Strategien sind, hängt davon ab, wie sehr sich die jeweilige Stresssituation kontrollieren lässt. Das heißt: Wir Menschen prüfen jeweils, ob und inwieweit wir Situationen durch konkrete Handlungen oder Gefühlsreaktionen beeinflussen können (vgl. Lazarus 1984).

Das Modell von Richard Lazarus, das als transaktionales Stressmodell bekannt ist, wird in den folgenden Kapiteln nochmals im Kontext der besprochenen Selbstfürsorge-Maßnahmen erläutert.

 

Formen der Selbstfürsorge

Es gibt verschiedenen Formen der Selbstfürsorge, die helfen, Stress zu bewältigen und zu managen. Im Folgenden sind einige verkürzt dargestellt.

Therapie und gesundheitspsychologische Beratung

Therapie und psychologische Beratung können helfen, innere Dynamiken zu erkennen, die zu mehr Stress führen. Dabei können auch stressbedingte körperliche Symptome angeschaut werden. Diese zählen in der klinischen Psychologie zum Zweig der Psychosomatik. So könnte beispielsweise ein Zusammenhang bestehen zwischen einer mangelnden Abgrenzungsfähigkeit im Berufsalltag, steigendem Stress und entstehenden Symptomen wie Spannungskopfschmerzen oder Schlafschwierigkeiten. 

Wenn solche Dynamiken erkannt werden, kann das Stresserleben mittels verschiedener Strategien reguliert und abgemildert werden – etwa durch Empowerment, Strategieveränderungen oder psychische und körperliche Kompetenzförderung. Konkret könnte zum Beispiel geübt werden, Grenzen zu setzen und Bedürfnisse zu äußern.

Des Weiteren können im Rahmen der Beratung Abwehrmechanismen aufgedeckt werden. Abwehrmechanismen sind beispielsweise psychische Vorgänge, die dazu dienen, bedrohliche, schmerzhafte oder inakzeptable Situationen, Gefühle oder Impulse zu verhindern oder nicht zu fühlen. Mit solchen Mechanismen können negative und als schmerzhaft empfundene Gefühle auf ein verträgliches Maß reduziert oder sogar vollständig aus dem Bewusstsein verdrängt werden. Auch diese Vorgänge können zu innerem Stress führen. 

In einer Therapie wird dann unter anderem versucht, die unterschiedlichen Aspekte und Motivationen der Persönlichkeit bewusst zu machen und im Inneren miteinander zu versöhnen. Dabei können neue Sichtweisen entstehen. Es kann ein tieferes Verständnis für sich selbst erwachsen oder eine Versöhnung mit den Persönlichkeitsanteilen stattfinden, die bislang unbewusst Abwehrmechanismen als Schutzstrategie eingesetzt haben. 

Ein Beispiel: Eine Person meidet seit Längerem Menschenansammlungen. In der Therapie wird mit dem Anteil, der dies gemieden hat, gearbeitet. Dabei kann beispielsweise angeschaut werden, welche Funktion und positive Absicht dieser Persönlichkeitsanteil hatte. Dadurch entsteht in der Psyche ein Zugang zu diesem Anteil. Bislang verdrängte Inhalte werden ins Alltagsbewusstsein integriert. Die Person kann sich selbst besser verstehen und Mitgefühl für sich entwickeln, wenn sie erkennt, warum dieser Teil von ihr so handelte. Insgesamt wird so das Gefühl für die eigene Gesamtpersönlichkeit gefördert und die Person gestärkt. Sie kann ab dann neue Strategien im Umgang mit Menschenmengen lernen und erlebt diese nicht mehr als so bedrohlich.

Therapie kann daher auch bedeuten, den Mut aufzubringen, sich seinen Ängsten und anderen starken Gefühlen zu stellen – insbesondere solchen Gefühlen und mentalen Einstellungen, die bislang zu Stress geführt haben. Dabei können Kräfte erwachsen, die dabei helfen, Neues auszuprobieren. Ein Motto kann lauten: Wenn ich etwas erfahren möchte, was ich vielleicht noch nie erlebt habe – etwa stressfrei zu leben – dann gilt es etwas zu tun, was ich noch nie ausprobiert habe.

In der Therapie und psychologischen Beratung können auch Übungen erlernt werden, die dabei helfen, sich in Stresssituationen schneller zu erholen. Regelmäßig angewandt helfen diese auch dabei, den Organismus insgesamt zu beruhigen. In Kapitel 4 werden einige solcher Übungen vorgestellt.

Entspannungsverfahren 

Bei Entspannungsverfahren geht es unter anderem darum, dem eigenen Organismus erstmal die Möglichkeit zu geben, bewusst abzuschalten und zu entschleunigen. Entspannungsmethoden wenden sich insbesondere an die Teile des Gehirns, die das Stresserleben steuern. Dazu zählt das vegetative Nervensystem. Dieses wird vom Stammhirn gesteuert und ist an der Regulation von Stress und Stresserleben beteiligt. Wie wir in Kapitel 1 kurz gesehen haben, besteht das vegetative Nervensystem aus zwei Strängen: dem aktivierenden Sympathikus und dem auf Regeneration ausgerichteten Parasympathikus. Bei akutem und chronischem Stress wird der Sympathikus angeregt. Er ist dafür zuständig, die überlebenssichernden Maßnahmen einzuleiten. 

Wenn der Organismus zu häufig und zu intensiv Stress erlebt, und die Phasen der Regeneration kürzer und seltener werden, kann der für Regeneration und Entspannung zuständige Parasympathikus seiner Aufgabe nicht mehr nachgehen. Man spricht dann von einem sympathikoton regulierten Organismus. Das Ergebnis ist die bereits mehrfach genannte Dysbalance im Organismus. Die Homöostase wird gestört und es entstehen unterschiedliche Symptome auf emotionaler, mentaler und körperlicher Ebene. 

Entspannungsverfahren wenden sich daher vermehrt an die Stimulation des Parasympathikus. Auch zielen sie darauf ab, beide Stränge des vegetativen Nervensystems ausgeglichen zu stimulieren. Das vegetative Nervensystem soll wieder lernen, dass nach Erregung und Anstrengung auch Entspannung und Erholung sein darf. 

Hierfür gibt es unterschiedliche Methoden. Im Folgenden benannt ist beispielsweise die Progressive Muskelentspannung nach Jacobson (PMR). Diese hat sich weltweit als anerkannter Therapieansatz für die Behandlung von psychosomatischen Beschwerden entwickelt.

Etabliert hat sich ebenfalls die durch den amerikanischen Molekularbiologen und Achtsamkeitsforscher Jon Kabat-Zinn entwickelte Achtsamkeitslehre, auch MBSR genannt. MBSR steht für: Mindfulness-Based Stress Reduction.

Die Wirkungen der MBSR auf das menschliche Gehirn und Empfinden sind durch bildgebende Verfahren nachgewiesen. Nach einem kontinuierlichen MBSR-Training, das in achtsamkeitsbasierten Psychotherapien oder in zertifizierten Kursen möglich ist, konnten positive Veränderungen in Gehirnarealen beobachtet werden, die maßgeblich an der Verarbeitung von Stress beteiligt sind (vgl. Hüther 2012, Kabat-Zinn 2023). In den Forschungen Kabat-Zinns wurde insbesondere die Amygdala untersucht. Sie ist ein kleines mandelförmiges Gebilde im Limbischen System, die unter anderem Emotionen wie Angst steuert und Sinnesreize bewertet. Die Amygdala kann bei Stresserleben ihre Form und Größe verändern. Langanhaltender Stress führt dazu, dass sie umliegende Reize sehr schnell mit Angst und Schrecken verbindet und dadurch in eine dauerhafte Übererregung geraten kann. MBSR Übungen wirken nachweislich positiv und entlastend auf diesen Prozess ein und helfen dabei, die dauerhafte Erregung zu verringern (vgl. Hüther 2012, Kabat-Zinn 2023). 

Das MBSR-Verfahren fördert die Wahrnehmung für die eigenen seelischen Vorgänge und mentalen Prozesse. Im Achtsamkeitstraining lernen Menschen, wahrzunehmen, was in jedem Moment in ihrem Inneren vorgeht – welche Gedanken, Gefühle und körperliche Reaktionen ablaufen. In einem zweiten Schritt lernen sie, diese inneren Abläufe und sich selbst mehr anzunehmen und zu akzeptieren. So fördert die Achtsamkeit eine bestimmte innere Haltung und einen bestimmten Umgang mit dem Leben. Anstelle einer selbstkritischen und bewertenden Haltung treten Mitgefühl, Gelassenheit und Selbstannahme.

Das Transaktionale Stressmodell nach Richard Lazarus

Nach der Theorie von Richard Lazarus befindet sich das Individuum in einer stetigen Beziehung mit der Umwelt. Lazarus und seine Kollegin Susan Folkman vertreten gemeinsam die Ansicht, dass Stress maßgeblich dadurch entsteht, dass die Umwelt eine Person vor Herausforderungen stellt und die betroffene Person diese entsprechend bewertet. In der Folge dieser Bewertung werden die Bewältigungsmöglichkeiten einer Person aktiviert und dabei beansprucht oder auch überfordert (Lazarus und Folkman 1984). 

Aus diesem Modell leitet sich die Kernaussage des transaktionalen Stressmodells ab: Stress entsteht immer dann, wenn die Anforderungen der Umwelt von den eigenen Fähigkeiten und Ressourcen zu sehr abweicht.

Die Bewertungsprozesse 

Nach dem transaktionalen Modell laufen drei Bewertungsprozesse ab, die eine Person bei der Beurteilung einer Situation durchläuft:

  1. Primäre Bewertung: Ist die Situation bedrohlich?
  2. Sekundäre Bewertung: Besitze ich genügend Ressourcen?
  3. Neubewertung: Hat sich etwas verändert?

Dabei sind die beiden ersten Prozesse der primären und sekundären Bewertung nicht zwangsläufig als zeitliche oder hierarchische Abfolge zu betrachten. Die beiden Prozesse können sich gegenseitig beeinflussen und zeitlich überlagern (vgl. Lazarus, Folkman 1984).

Primäre Bewertung

In der ersten Bewertungsphase beurteilen wir Menschen laut dem Modell in jeder Situation, mit der wir konfrontiert sind, ob bedrohliche Anforderungen an uns vorhanden sind oder auftreten können. Dabei analysieren wir mögliche Stressoren. Wir unterscheiden dabei folgende Reize:

  • Irrelevante Reize
  • Positive Reize
  • Gefährliche und überfordernde Reize

Hier sind für uns nur die „gefährlichen bzw. überfordernden Reize“ relevant. Kommen wir zu diesem Urteil, nehmen wir eine weitere Einschätzung vor und bewerten ob:

  • ein Schaden oder Verlust bereits eingetreten ist;
  • eine Beeinträchtigung bevorsteht;
  • oder die Situation eine positive Herausforderung darstellt, die zwar stresshaft scheint, aber gleichzeitig als interessant und lohnenswert eingestuft wird.

Sekundäre Bewertung

Stufen wir eine Situation als bedrohlich ein, beurteilen wir laut dem Modell im nächsten Schritt, ob wir über genügend innere und äußere Ressourcen verfügen, um sie zu bewältigen. Hierbei zählen alle Möglichkeiten der Bewältigung, die wir wahrnehmen. Beispiele können eigene Kompetenzen sein, soziale Unterstützung, die Neubewertung einer Situation, materieller Besitz und vieles mehr. Bewerten wir die vorhandenen Ressourcen als unzureichend, erleben wir Stress und reagieren möglichweise entsprechend.

Neubewertung

Im Anschluss an vorangehende Bewertungen schätzen wir Menschen laut dem Modell die Situation erneut ein. Hierbei überprüfen wir erneut, ob die vorhandenen Ressourcen ausreichen, um die Situation zu bewältigen oder ob diese weiterhin als bedrohlich angesehen wird.

Die 3 Arten der Stressbewältigung (Coping)

Wie bereits im vorangegangenen Kapitel beschrieben, gibt es verschiedene Arten der Stressbewältigung, die auch Coping genannt werden: Laut transaktionalem Stressmodell kommen die Coping-Strategien meist im Anschluss an die sekundäre Bewertung zum Einsatz (vgl. Lazarus und Folkman 1984):

Richard Lazarus unterscheidet zwischen drei Arten des der Stressbewältigung:

  1. Problembezogenes Coping: Veränderung der Situation
  2. Emotionsbezogenes Coping: Regulation negativer Emotionen
  3. Bewertungsorientiertes Coping.

Problembezogenes Coping

Das problembezogene Coping beinhaltet alle persönlichen Anstrengungen, die sich auf die Veränderung der Situation richten. Beispielsweise können wir versuchen, durch gezielte Informationssuche, direkte Handlungen oder auch durch das Unterlassen von bestimmten Handlungen schwierige Situationen zu überwinden oder uns den Gegebenheiten anzupassen.

Emotionsbezogenes Coping

Das emotionsbezogene Coping bezieht sich auf die Regulation negativer Emotionen. Hierbei versuchen wir vorrangig, die durch die Situation in uns entstandene emotionale Erregung abzubauen.

Bewertungsorientiertes Coping

Die Neubewertung der Situation ist sowohl Teil des Bewertungsprozesses als auch bereits eine der Bewältigungsstrategien. Gemeint ist, dass wir versuchen, stressige Situationen neu zu bewerten, indem wir unsere Gedanken und Interpretationen verändert. Dabei verfolgen wir das vorrangige Ziel, eine Belastung als Herausforderung zu sehen. Indem wir den Lebensumstand positiv bewerten, werden Ressourcen frei, um neu und angemessener zu reagieren. Dies gelingt aber nur, wenn wir konkrete Lösungsansätze finden (siehe problemorientiertes Coping). In diesem Fall müssen wir also verschiedene Strategien kombinieren, die sich auf eine Veränderung und Lösung der Situation ausrichten (vgl. ebd.).

Positive Psychologie zur Stressbewältigung

Die Positive Psychologie entwickelte sich vor mehreren Jahrzehnten als eigene Forschungsrichtung innerhalb der Psychologie. Ihr Name wurde von dem US-amerikanischen Psychologen Abraham Maslow eingeführt. In den 1990er Jahren griff der amerikanische Psychologe Martin Seligman die Positive Psychologie auf und erhielt weltweite Aufmerksamkeit. Er richtete in seiner Arbeit den Fokus auf die positiven, wertvollen Aspekte menschlichen Lebens und untersuchte mögliche Grundlagen dafür (vgl. Seligman 2012). 

Im Zentrum der Positiven Psychologie stehen die Erforschung von menschlichen Ressourcen, Stärken und Potenzialen sowie die möglichen Quellen persönlichen Wohlbefindens. Erforscht werden beispielsweise die Auswirkungen positiver Emotionen auf Psyche und Körper und positive Erfahrungen wie das sogenannte „Flow-Erleben“, das sich einstellt, wenn das Leben als Fluss wahr- und angenommen werden kann. Auch die Bedeutung von unterstützenden sozialen Beziehungen sowie Fragen der inneren Motivation und des Sinn-Erlebens sind Gegenstand der Positiven Psychologie. 

Der Aufbau von Ressourcen

In diesem Kapitel betrachten wir mögliche Wege, Ressourcen zur Stressbewältigung aufzubauen.

Akute Stressbewältigungsübungen in und nach herausfordernden Situationen

Die folgenden Handlungen können bei akutem Stress schnell eingesetzt werden und eine Veränderung bewirken:

  • Tief durchatmen
  • Wasser trinken
  • Bewegung, etwa schütteln, strecken oder hüpfen
  • Kurze Erholung, etwa hinsetzen, kurz die Augen schließen
  • Atem-/Bewegungs-/Dehnübungen 
  • Den Raum oder Ort wechseln
  • Um Unterstützung bitten 
  • Eine Vertrauensperson kontaktieren
  • Perspektivwechsel durch Platzänderung und Abstand

Ressourcen – Übungen

Im Folgenden werden einige konkrete Methoden und Übungen zur Stressreduktion vorgestellt.

Blume

(c) EvgenIT/pixabay

 

Diese Übung kann dir dabei helfen, zu erkennen, was es bereits Gutes in deinem Leben gibt. Du kannst dir damit deiner Ressourcen bewusster werden und dich selbst besser kennen lernen. Die Übung kann dir auch helfen, in bestimmten Lebensbereichen weitere Ressourcen aufzubauen. 

Anleitung:

Schreibe jeweils in eines der Blütenblätter (s. Seite 17) deine  Stärken und Talente, deine sozialen Ressourcen,  welche Lebensziele du erreicht hast und welche du noch für dich aufstellst.  In das weitere Blütenblatt kannst du hineinschreiben, wofür du dankbar bist in deinem Leben. 

1) Meine Talente und Stärken

2) Meine sozialen Ressourcen        

3) Meine bereits erreichten Lebensziele

4) Meine neuen Lebensziele 

5) Wofür ich dankbar bin

Ressourcen – Belastungswaage

Die Ressourcen-Belastungswaage hilft dir, deine aktuelle Situation zu betrachten: Stehen Stressfaktoren und Ressourcen in einem ausgeglichenen Verhältnis zueinander? Brauchst du mehr Ressourcen? Oder Zeit für Selbstfürsorge? Oder sind ausreichend Ressourcen vorhanden?

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Anleitung: 

Notiere auf der einen Seite der Waage alle Stressfaktoren. Du kannst diese ordnen in:

  • Mentale Stressoren: Grübeln, Gedankenkreisen o.Ä.
  • Emotionale Stressoren: intensive Gefühlsreaktionen, Gefühlstaubheit, zu viele unangenehme Gefühle.
  • Körperliche Stressoren: Bewegungsmangel, flache Atmung o.Ä.
  • Soziale Stressoren: Etwa Stress im Arbeitskontext, zu wenig Kontakt zu guten Freund*innen.

Notiere auf der anderen Seite der Waage deine Ressourcen. Diese kannst du ebenfalls ordnen in:

  • Mentale Ressourcen: beispielsweise Fähigkeiten zum Unterbrechen von Gedankenkreisen, Interesse am Lernen oder der Selbstfürsorge.
  • Emotionale Ressourcen: Die Fähigkeit, über deine Gefühle sprechen zu können, Tagebuch schreiben o.Ä.
  • Körperliche Ressourcen: etwa Sport, Tanz, gesunde Ernährung.
  • Soziale Ressourcen: zum Beispiel stabile Freundschaften, wertschätzende Arbeitskolleg*innen.

Sollten sich mehr Ressourcen als Stressoren zeigen, ist das Verhältnis von Stress und Ressourcen gut und die Selbstfürsorge gelingt bereits. Zeichnen sich mehr Stressfaktoren ab, kann die Übung dabei helfen, sich in den angezeigten Lebensbereichen um mehr Selbstfürsorge zu kümmern. Das kann bedeuten, realistisch die Stressoren zu reduzieren, die veränderbar sind, oder sich ggf. auch Unterstützung zu holen.

Progressive Muskelentspannung nach Jacobson 

Die Progressive Muskelentspannung nach Jacobson ist eine systematische Entspannungstechnik. Experten nennen sie auch Progressive Muskelrelaxation (PMR) oder Progressive Relaxation (PR). Der amerikanische Arzt Edmund Jacobson hat die Methode begründet. Er entdeckte, dass eine besonders tiefe Entspannung entstehen kann, wenn zuvor alle Körpermuskeln gezielt und maximal anspannt angespannt und anschließend losgelassen werden.

Bei dieser Übung werden einzelne Muskelgruppen für etwa 10 bis 15 Sekunden angespannt und anschließend für etwa 30 bis 60 Sekunden in der Entspannung bewusst wahrgenommen. Dies wird mit verschiedenen Muskelgruppen am ganzen Körper wiederholt, angefangen bei Händen und Armen über Nacken und Schultern, den Rücken, den Bauch, das Gesäß, die Beine und Füße. Auch die Gesichtsmuskulatur wird angespannt und dann entspannt.

Anleitung:

  1. Beginne mit dem linken Unterarm. Balle deine Hand zu einer Faust, winkele den Unterarm leicht an und spanne ihn an. Halte die Anspannung für 10-15 Sekunden. Entspanne. Atme tief ein und aus. 
  2. Rechter Unterarm: Balle deine Hand zu einer Faust, winkele den Unterarm leicht an und spanne ihn an. Halte die Anspannung für 10-15 Sekunden. Entspanne. Atme tief ein und aus. 
  3. Linker Oberarm: Balle deine Hand zu einer Faust, winkele den Unterarm an den Oberarm an und spanne ihn fest an.  Halte die Anspannung für 10-15 Sekunden. Entspanne. Atme tief ein und aus. 
  4. Rechter Oberarm: Balle deine Hand zu einer Faust, winkele den Unterarm an den Oberarm an und spanne ihn fest an. Halte die Anspannung für 10-15 Sekunden. Entspanne. Atme tief ein und aus. 
  5. Nacken und Schultern: Ziehe deine Schultern zu den Ohren hoch und spanne den Nacken an. Halte die Anspannung für 10-15 Sekunden. Entspanne. Atme tief ein und aus. Rumpf hinten: Spann deinen Rücken an, indem du einen krummen Buckel machst oder die Schulterblätter nach hinten zusammendrückst. Halte die Anspannung für 10-15 Sekunden. Entspanne. Atme tief ein und aus.
  6. Rumpf vorne: Spanne den Bauch an und zieh ihn durch bis zur Wirbelsäule. Halte die Anspannung für 10-15 Sekunden. Entspanne. Atme tief ein und aus. 
  7. Gesäß: Spanne die Muskeln an. Halte die Anspannung für 10-15 Sekunden. Entspanne. Atme tief ein und aus. 
  8. Oberschenkel: Spanne die Muskeln durch Anwinkeln der Beine an. Halte die Anspannung für 10-15 Sekunden. Entspanne. Atme tief ein und aus.
  9. Unterschenkel und Füße: Spanne die Muskeln an, indem du die Beine ausstreckst und die Fußspitzen hochziehst. Halte die Anspannung für 10-15 Sekunden. Entspanne. Atme tief ein und aus.
  10. Gesichtsmuskeln: Ziehe eine Grimasse und spanne dabei alle Muskeln an. Halte die Anspannung für 10-15 Sekunden. Entspanne. Atme tief ein und aus.

Atem- und Körperübungen zur Regeneration nach Stress

Schüttelübung

Aus dem Tierreich ist bekannt, dass Tiere sich nach akutem Stress ausschütteln, um den Stress körperlich zu verarbeiten und abzubauen. So regulieren Tiere ihren Organismus nach einem Schock. Es gibt traumatherapeutische Methoden, die mit diesem Ansatz arbeiten. Der Traumatherapeut Dr. Peter Levine zum Beispiel hat erforscht, dass Menschen in überwältigenden Momenten Emotionen in ihrem Körper speichern. Im Therapieverlauf können diese Gefühle unter anderem durch Zittern oder Schütteln verarbeitet und entlastet werden. Daraus leitet Levine ab, dass wir Menschen Gefühle nicht im Körper festhalten würden, wenn wir uns nach einer Stresssituation dieses natürlichen Vorgehens bedienen (vgl.  Levine 2012).

Anleitung:

Stelle deine Füße hüftbreit auf den Boden. 

Lass die Knie locker. 

Lockere auch das Becken und lass es frei schwingen. 

Schüttele dich. 

Atme währenddessen gleichmäßig weiter. 

Mach das insgesamt mindestens drei Minuten lang.

Atemübung 

Diese Übung verbindet Ansätze der achtsamkeitsbasierten Therapie, der Traumatherapie nach Levine und verschiedener Entspannungsverfahren. 

Anleitung:

Sitze aufrecht und bequem auf einem Stuhl. Die Füße stehen fest auf dem Boden. Wandere dann mit deiner Aufmerksamkeit durch deinen Körper:

Beginne mit deinen Füßen.

Spüre den Kontakt zum Boden, spüre deine Füße auf dem Boden.

Spüre dann die Länge deiner Beine.

Spüre deinen Beckenboden, nimm wahr, wo dein Gesäß Kontakt mit der Sitzfläche hat.

Spüre deinen Rücken. Nimm wahr, wo er Kontakt mit der Stuhllehne hat, lehne dich hierfür bewusst an

Spüre deinen gesamten Körper im Sitzen, so gut es geht. Lege dann eine Hand auf deinen Bauch und spüre, wie sich deine Bauchdecke hebt und senkt, während du atmest. Stell dir vor, dass bei jedem Ausatmen Stress aus dir heraus fließt. 

Atme schließlich noch zehnmal langsam und tief ein und aus.

Übungen zur Teampflege und für das soziale Miteinander 

Wertschätzungsdusche

Die Übung kommt aus der Positiven Psychologie aus dem Bereich des Teambuildings. Sie baut einerseits für die Einzelnen Ressourcen auf, indem sie positive und stärkende Aspekte der Personen herausarbeitet. Des Weiteren fördert sie das soziale Miteinander und die Atmosphäre im Team. 

Anleitung:

Eine Person steht in der Mitte eines Kreises. Um die Person herum stehen die Kolleg*innen. Alle sagen nun nacheinander etwas wertschätzendes zu der Person in der Mitte: was sie an ihr schätzen, wofür sie sie mögen, was sie besonders an ihr empfinden. Die Person in der Mitte antwortet nicht, sondern hört zunächst nur zu und versucht, die positiven Informationen an sich heranzulassen. 

Anschließend wird getauscht, sodass jede Person einmal in der Mitte steht und diese Erfahrung machen kann. 

Dankbarkeitskarte

Die Übung kommt aus der Positiven Psychologie und fördert Beziehungen und das soziale Miteinander. Sie kann dabei helfen, eine gute Atmosphäre zu fördern, Beziehungen zu pflegen und zu vertiefen und die Verbindung zu stärken. 

Anleitung:

Schreibe eine Karte an eine Person, bei der du dich für ihre Anwesenheit in deinem Leben bedanken möchtest. Wer ist besonders zuverlässig für dich da, wer hört dir gut zu? Wer hilft dir in schwierigen Momenten oder verbringt gerne Zeit mit dir? Weiß die Person das? Lass es sie wissen!

Vermutlich rechnet sie nicht mit deiner Karte. Schreibe ihr, wofür du ihr dankbar bist und welchen Wert sie in deinem Leben darstellt. Bringe die Karte zeitnah zur Post oder überreiche sie dieser Person persönlich. Beobachte, was es für die empfangende Person bedeutet und wie es sich auf eure Beziehung auswirkt. 

 

Quellennachweise: 

Griese, Karin (2019): Selfcare in Hilfsorganisationen. Abgerufen von: https://medicamondiale.org/gewalt-gegen-frauen/aktuelles/selfcare-in-hilfsorganisationen-auch-wir-die-helfenden-brauchen-hilfe.

Hüther, Prof. Dr. Gerald (2012): Biologie der Angst. Vandenhoeck & Ruprecht.

Kabat-Zinn, Jon (2023): Achtsam mit dem Schmerz. O.W. Barth.

Kaluza, Gert (2015): Stressbewältigung–Trainingsmanual zur psychologischen Gesundheitsfürsorge. Springer.

Lazarus, Richard (1999): Stress and emotion, a new synthesis. Free Association Books.

Lazarus, Richard, Folkman, Susan (1984): Stress, appraisal, and coping. Springer.

Levine, Dr., Peter (2010): In an Unspoken Voice. How the Body Releases Trauma and Restore Goodness. North Atlantic Books.

Seligman, Martin (2012): Flourish. Wie Menschen aufblühen. Die Positive Psychologie des gelingenden Lebens. Kösel.

Selye, Hans (1978): The Stress of Life. McGraw Hill.

Tiemann, Prof. Dr. Michael, Mohokum, Prof. Dr. Melvin (2020): Prävention und Gesundheitsförderung. Springer.

Uexküll, Karl Kuno Thure von, Wesiack, Wolfgang (1998): Theorie der Humanmedizin. Urban und Schwarzenberg.

Universität Köln (o.J.): Abgerufen von: http://konstruktivismus.uni-koeln.de/woerterbuch/homoeostase.html. 

Walker, Pete (2013): Complex PTSD – From Surviving to Thryving. CreateSpace Independent Publishing Platform.